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Produktions-Feinplanung der Zukunft im SAP-Umfeld

Produktions-Feinplanung-der-Zukunft- im-SAP-Umfeld

Industrielle Feinplanung befindet sich inmitten eines gewaltigen Wandels: Die ständig wechselnden und zunehmend komplexeren Produktionsaufgaben der Gegenwart lassen sich kaum noch mit den Softwarelösungen der Vergangenheit planerisch lösen. Stattdessen steht eine neue Generation von APS-Lösungen (Advanced Planning and Scheduling) parat, die auf KI- und Data-Science-Basis für Reaktionsfähigkeit und damit deutlich mehr Ausbringung und kürzere Durchlaufzeiten sorgt – und das bei kleinem Implementierungsaufwand. Im nachfolgenden Interview spricht Daniel Poodratchi, Chief Product Officer bei anacision, über die Fragen, was in diesem Bereich bereits heute im SAP-Umfeld möglich ist und welche Grundbedingungen erfüllt sein müssen.

Starten wir mit einem allgemeinen Blick auf KI in der Produktion – wo und wie kommt die Technologie heute bereits zum Einsatz?

Daniel Poodratchi: Es gibt natürlich sehr viele große und kleine Beispiele für den Einsatz von KI. Vielleicht könnte man an dieser Stelle drei hervorheben: Da wäre zum einen Predictive Maintenance, also die vorausschauende Wartung per KI-basierter Datenanalyse – ein Dauerthema der letzten Jahre, welches die Erwartungen nicht erfüllt hat, weil das Aufwand-Nutzen-Verhältnis oft nicht gegeben ist. Die individuelle Anpassung der Lösungen auf den jeweiligen Betriebsmittel-Typ ist bei den meisten Ansätzen sehr aufwendig. Besonders für Anlagenbetreiber, die sehr heterogene Betriebsmittel einsetzen, gibt es deshalb meist keinen Anwendungsfall. Sehr gut funktioniert in manchen Bereichen hingegen die automatische optische Inspektion. Ihre Potentiale sind etwa im Bereich „End-of-Line-Test“ noch einmal erheblich angestiegen. So kann man die Qualitätsprüfung ohne Eingriff des Menschen auf ein neues Level heben. Und nicht zuletzt gibt es den Bereich der Feinplanung. Das besondere hier ist: Wenn Sie da an den richtigen Stellschrauben drehen, erzeugt das häufig einen erheblichen Optimierungseffekt. Schließlich geht es nicht nur um eine Maschine oder Linie, sondern um die Feinplanung eines ganzen Produktionsstandorts.

Insgesamt gibt es Produktions-Feinplanung schon sehr lange. In welche Richtung entwickelt sich das Thema aus Deiner Sicht?

Daniel Poodratchi: Machen wir uns zunächst bewusst, wohin sich unsere Welt entwickelt hat. Es gibt mehr Komplexität denn je und immer mehr kurzfristige, unmöglich planbare Ereignisse fordern die Planenden bei ihrer täglichen Aufgabe. Ständig wechselnde Aufträge, Personalmangel und das sinkende Bildungsniveau der Werksmitarbeitenden erschweren die Aufgabe zusätzlich. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass Unternehmen in ihrer Produktion deutlich flexibler werden müssen, um diese Herausforderungen zu meistern. Und für diese Flexibilität ist eine leistungsstarke Feinplanung unverzichtbar, sonst bleibt das eigentliche Potential der Produktion ungenutzt. Neue technologische Ansätze bei APS-Lösungen eröffnen hier enorme Möglichkeiten. Gleichzeitig ist der Projektaufwand für die Implementierung deutlich geringer im Vergleich zu klassischen APS-Lösungen.

Welche technologischen Ansätze eröffnen neue Potentiale in der Produktions-Feinplanung?

Daniel Poodratchi: Drei Themenfelder spielen hierbei eine Rolle: Erstens neue Algorithmen aus dem KI-Umfeld in Verbindung mit der Verfügbarkeit von Cloud-Technologien. Diese ermöglichen sekundenschnelle Berechnung von hocheffizienten Plänen für individuelle Produktionsstrukturen. Zweitens nimmt die Vernetzung entlang der Lieferkette (SAP IBP) und in der Produktion (etwa per IoT, MDE, BDE) immer weiter zu. Die Berücksichtigung dieser Daten in der Feinplanung eröffnet nie dagewesene Möglichkeiten hinsichtlich der Reaktionsfähigkeit, Automatisierung und Optimierung. Drittens hilft der verstärkte Einsatz von KI dabei, die Feinplanung selbstlernend zu perfektionieren. Übrigens haben wir in diesem Zusammenhang auch ein klares Zielbild: Die ganze Lösung funktioniert am Ende wie ein Navigationssystem im Auto. Sie zeigt also die ideale Route zum Produktionsziel, prognostiziert die Ankunftszeit (Liefertermin), reagiert direkt auf abweichende Ereignisse und berechnet anschließend in Sekundenschnelle eine neue ideale Route.

" Wir wollen eine Produktions-Feinplanung, die so flexibel reagiert wie das Navigationssystem im Auto."

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Daniel Poodratchi, Chief Product Officer bei anacision

Welche Funktionen zeichnen die Lösung von anacision aus und wo liegt ihr operativer Mehrwert?

Daniel Poodratchi: Es geht bei APS ja letztlich immer um eine ganzheitliche Betrachtung der Produktionsabläufe, um die effektivsten Optimierungspotentiale realisieren zu können. Wir sprechen also von einem sehr starken Hebel für zentrale Leistungskennzahlen wie den Durchsatz, die Liefertermintreue oder die Durchlaufzeit. Das sind Bereiche, in denen sich die Optimierungen – und damit der Erfolg unserer Lösung – sehr genau messen lassen. Übrigens bekommen die Kunden dabei keine „Black Box“. Wir schauen uns im Vorfeld die historischen Produktionsdaten eines Zeitraums an und verwenden sie als Basis für die Erstellung eines optimalen Plans. Ein solcher „Testplan“ macht dann die erreichbaren KPI-Optimierungen sowie Einsparpotentiale ganz konkret sichtbar. Zudem können Unternehmen die Umsetzbarkeit der Pläne prüfen. Kurz gesagt: Es zeigt sich, ob sich die Lösung überhaupt lohnt. Um mal die Dimensionen deutlich zu machen: In der Praxis ist es uns beispielsweise gelungen, die Ausbringung eines Kunststoffherstellers um 17 Prozent und die Auslastung eines Sensorherstellers um 10 Prozent zu erhöhen.

Kann die Lösung auch im SAP-IBP-Umfeld ihre Stärken ausspielen?

Daniel Poodratchi: Das stellt kein Problem dar. anacision PLANNING verstehen wir als „Intelligenz-on-top“. Das heißt, wir speichern keine Daten und haben auch keine eigene Benutzeroberfläche, sondern optimieren die Verteilung der Fertigungsaufträge bzw. Arbeitsgänge unter Berücksichtigung der Eckdaten, die SAP vorgibt. Dabei spielt es keine Rolle, ob im Unternehmen der klassische MRP, MRP Live oder MRP Live in Verbindung mit IBP zum Einsatz kommt. Alle relevanten Daten werden per universeller Schnittstelle an unsere Technologie gesendet und die optimierten Pläne anschließend wieder in SAP, MES-Lösungen, individuelle Systeme oder sogar in Excel ausgespielt.

Kann die Technologie in verschiedenen Branchen und Produktionsumgebungen zum Einsatz kommen?

Daniel Poodratchi: Es macht nicht überall Sinn. Vor allem Massenproduzenten, die sehr lange Zeit und völlig unverändert ein Bauteil herstellen, haben mit einiger Wahrscheinlichkeit kaum komplexe Planungsaufgaben. Hier lohnt sich die Lösung also eher selten. Sobald man aber verschiedene Produkte in einer Serienproduktion mit einem gewissen Maß an Flexibilität herstellt, entstehen Freiheiten: Man kann auf unterschiedliche Weise die Aufgaben abarbeiten, will dabei aber wahrscheinlich immer eine hohe Auslastung sowie Liefertermine sicherstellen – und das mithilfe von Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Bei dieser Ausgangssituation gibt es immer Optimierungspotential.

Aber spielt die Qualität der (Stamm-)Daten nicht immer eine entscheidende Rolle?

Daniel Poodratchi: Zunächst sollte man an dieser Stelle betonen, dass viele Unternehmen bei diesem Thema einen großen Aufwand befürchten – etwa mit Blick auf die Qualität vorhandener Stammdaten. Als KI-Spezialisten können wir das aber weitestgehend entkräften. Zum einen gehen wir die Aufgabe sehr flexibel an und schauen zunächst, was für Daten vorliegen und welche Optimierungspotentiale es gibt. Dabei geht es nicht darum, alles perfekt zu machen – auch erste kleinere Optimierungsschritte führen oft schon zu deutlichen Leistungssteigerungen. Auf der anderen Seite haben die meisten Unternehmen viel mehr nutzbare Daten, als sie selbst annehmen. Hier kann man mithilfe von KI erstaunliche Ergebnisse erzielen. So ist es uns beispielsweise bereits gelungen, aus BDE-Daten und einfachen Produktmerkmalen die durchschnittlichen Durchlaufzeiten eines Leiterplatten-Herstellers zu errechnen – diese Stammdaten also quasi per KI zu erlernen. Oftmals zeigt sich im Gespräch mit Unternehmen, dass sehr viel mehr möglich ist als zunächst gedacht.

Das Wissen rund um Produktionsprozesse ist ein hohes Gut – bleibt es geschützt, wenn KI-Technologie für die Planungsoptimierung zum Einsatz kommt?

Daniel Poodratchi: Die Frage ist sicherlich berechtigt, aber tatsächlich ist das Produktionswissen in keiner Weise gefährdet. Zum einen werden die Daten bei uns nicht mit irgendeiner Technologie dauerhaft gekoppelt. Stattdessen durchlaufen sie einmal in Sekundenschnelle unsere Lösung – und das ohne jede Speicherung. Die Übertragung der Daten ist natürlich verschlüsselt. Nachdem wir alle Berechnungen ausgeführt und einen optimierten Plan versendet haben, bleibt also nichts zurück. Selbst wenn die Daten gespeichert wären, dürfte es kaum möglich sein ohne Kontextdaten des Kunden konkrete Prozessabläufe identifizieren zu können.

Die autonome Fabrik erscheint für viele wie ein sehr weit entferntes Ziel. Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die APS-Lösungen der neuesten Generation?

Daniel Poodratchi: Uns ist bewusst, dass die Schlagworte „Smart Factory“, „KI“ und „IoT“ in der öffentlichen Darstellung inflationär verwendet werden und häufig sehr weit weg von der Realität in produzierenden Unternehmen sind. Das führt verständlicherweise zu Skepsis, ist aber gleichermaßen gefährlich: Letztlich ist es unverzichtbar, dass Unternehmen sich in die digitalisierte Zukunft bewegen, sonst erobern flexiblere (neue) Wettbewerber den Markt. Unsere Botschaft ist dabei: Alle Voraussetzungen sind da, um entscheidende und verhältnismäßig einfache erste Schritte zu machen. Zum Beispiel ist die automatische Produktionsplanung eine ideale Startrampe. Übrigens glaube ich, dass es keine Alternative zu dieser Strategie gibt: Vor uns liegt mehr denn je eine komplexe Welt, die wir nicht mehr gut im Voraus planen können. Also muss die Reaktionsfähigkeit und dadurch die Resilienz der Unternehmen ansteigen – und das hängt am Ende ganz entscheidend von einer Planung ab, die diese Qualität sicherstellt. Letztlich sind wie hier also wieder beim Navigationssystem im Auto: Am Ende zeigt mir die Lösung immer den besten Weg. Genau das ist unser Ziel.

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